Cruisin‘ in NYC – Gedanken zur Fahrradmobilität am Big Apple

31. März 2021
Nach einem halben Jahr in New York lasse ich meine aktuelle Fahrradsituation und die Herausforderung „amerikanische Großstadt auf zwei Rädern erleben“ Revue passieren. Hier im Blogeintrag gibt es meine ausführlichen Gedanken und Erlebnisse. Für einen visuellen Eindruck habe ich euch eine Fahrt durch Broklyn und Manhattan im Slow-TV-Stil aufgenommen.

Der Bikeus Quo

Nach den vielen tollen Touren des Sommers war es nicht einfach, mein Canyon Grail in Deutschland zurückzulassen. Doch wenn Umstände Veränderung diktieren, bietet sich in der Zäsur häufig eine neue Chance. Anstatt mir durch den Verlust meine Lieblingssportgerätes die Freude am Fahrradfahren nehmen zu lassen, schritt ich am ersten Tag in New York bereits zur Tat. Es folgte eine penible Analyse der lokalen Kleinanzeigen – was wohl mehr Hinweise über meine Persönlichkeit beinhaltet, als es auf das schier überwältigende Angebot in jenem Spätsommer schließen lässt. Trotz Startschwierigkeiten war meine Zielsetzung klar: Es sollte ein Singlespeed sein. An Sport- oder Tourenräder war alleine schon aus Budgetgründen nicht zu denken. 

Autor*in

Sebastian Frank
Fahrradbegeisterter Outdoorjunkie mit großem Interesse an urbaner Fortbewegung. Erkundet derzeit Brooklyn auf seinem Singlespeed.

An dieser Stelle könnte ich mich gerne stundenlang über die unbezahlten Praktika der UN aufregen, das sprengt hier aber sicherlich den Rahmen. Auch soll es nicht von meiner eigentlich privilegierten Situation ablenken, hat mich der deutsche Steuerzahler doch mit einem Stipendium ausgestattet. Letztendlich bedeutete meine Wahl eine erneute Umstellung meines Anspruchs an das Fahrradfahren, nun dominert vom Verlangen covidsicher von A nach B zu kommen. Ein neuer Gedanke war dies nicht. Als Veteran der niederländischen Fahrradwege konnte ich mich während meines Masters in den Haag durchaus mit dem Gedanken anfreunden, die Zwecke Sport und Fortbewegung klarer zu trennen. Letztlich geht es auch darum, das Fahrrad als Rollenmodell für klassentaube Fortbewegung zu etablieren, weshalb meine Persönlichkeit als Spandexheld nun erstmal der als Ächter der Blechbüchse weichen muss.

Fahren in New York

Trotz der Gefahr mich in diesem kurzem Sozialismusexkurs bereits verkünstelt zu haben, möchte ich noch ein paar Gedanken zum eigentlichen Fahrradfahren in New York loswerden. Schon in den ersten Tagen wurde mir klar, wie viel sich seit meinem letzten Praktikum vor zwei Jahren verändert hat. Die Zahl der Fahrradfahrer*innen scheint sich vervielfacht zu haben, was vermutlich Kausal mit der deutlich verbesserten Fahrradinfrastruktur zusammenhängt. Sicherlich ist New York immer noch weit von der best-practice Infrastruktur der Niederlande oder Dänemarks entfernt, dennoch lösten baulich ungetrennte, aufgepinselte Fahrradspuren bei mir regelrechte Jubelstürme aus. Trotz fehlender Sicherheit bedeutet dies immerhin, dass das Fahrrad als demokratischer Verkehrsteilnehmer auf der Landkarte eingetragen wurde. Dennoch verstehe ich, wenn sich Einwohner*innen und Tourist*innen durch die weiterhin unzufriedenstellende Infrastruktur immer noch davor zieren, das Fahrrad als Pendelobjekt in Erwägung zu ziehen. Auch im Video wird deutlich, wie häufig Fahrradspuren zugeparkt sind, man sich durch Autokolonnen durchschlängeln muss, oder Autofahrer*innen unachtsam abbiegen. 

Fortschritt und Fazit

Ungeachtet meiner eben beschriebenen Malaisen befindet sich die Stadt auf dem richtigen Weg. Kürzlich wurde beschlossen, auf der Brooklyn Bridge eine Autospur stillzulegen und sie Fahrradfahrer*innen zu übergeben (Fitzsimmons & Hu, 2021), was als Entscheidung eine enorm hohe Strahlkraft besitzt. Außerdem machen erste Erleichterungen der Verkehrsregeln das Pedalieren für Radler*innen deutlich leichter und sicherer. So ist es nun beispielsweise erlaubt, sich in Ampelphasen einen kleinen Vorsprung gegenüber Autofahrer*innen herauszuarbeiten. Fahrräder dürfen beispielsweise bereits zu Fußgeherphasen die Straße überqueren, was bei jeder roten Ampel ca. wertvolle 10 Sekunden Vorteil gegenüber Autos bedeutet. Insgesamt fühle ich mich auf dem Fahrrad sicher (knock on wood), trotz Konkurrenzdenken einiger Autofahrer*innen. Mit einer steigenden Rolle im New Yorker Verkehr, erhöht sich auch die Sozialisierung und Akzeptanz des Fahrrades als Fortbewegungsmittel. Dies bedeutet, dass sich die Stadt definitiv auf einem positiven Entwicklungspfad befindet. Ich bin sehr gespannt, was das kommende Jahr für das Fahrrad als Fortbewegungsmittel bedeutet, da der Entwicklungssprung während der Pandemie nicht von der Hand zu weisen ist.